Obschon das behörd­li­che Disziplinar­verfahren kein Straf­ver­fah­ren ist, gel­ten auch für die­ses die rechts­staat­li­chen Grund­sät­ze zuguns­ten von Per­so­nen, die einer Straf­tat beschul­digt werden.

1. Ver­fah­rens­rech­te

Im Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ste­hen den beschul­dig­ten Beam­tin­nen und Beam­ten die sich aus dem Rechts­staats­prin­zip (Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 Grund­gesetz (GG)) zu Guns­ten von Beschul­dig­ten ableit­ba­ren Verfahrens­grundsätze zur Sei­te. Dies sind vor allem das recht­li­che Gehör, die Grund­sät­ze der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit, der Unschulds­ver­mu­tung, der Ver­trau­lich­keit und der Unmit­tel­bar­keit der Beweis­auf­nah­me, der Grund­satz „in dubio pro reo“ und das Ver­schlech­te­rungs­ge­bot. Die­se Verfahrens­grundsätze sind den Rege­lun­gen des Bun­des­dis­zi­pli­nar­ge­set­zes (BDG) aus rechts­staat­li­chen Grün­den zugrun­de gelegt, obschon das Disziplinar­verfahren kein Straf­ver­fah­ren im eigent­li­chen Sin­ne, son­dern ein ver­wal­tungs­ge­richt­li­ches Ver­fah­ren ist.

2. Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rungs- oder Schweigerecht

Den beschul­dig­ten Beam­tin­nen oder Beam­ten steht es im Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren frei, sich zu äußern oder zur Sache nicht auszusagen
(§ 20 Abs. 1 S. 3 BDG). Dar­über sind sie bei Ein­lei­tung des behörd­li­chen Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens zu beleh­ren. Bei Nicht­be­leh­rung oder feh­ler­haf­ter Beleh­rung darf die Aus­sa­ge der Beam­tin oder des Beam­ten nicht zu ihrem oder sei­nem Nach­teil ver­wen­det wer­den (§ 20 Abs. 3 BDG). Beschul­dig­te sind nicht ver­pflich­tet, an der Sach­auf­klä­rung mit­zu­wir­ken und zu einer ange­ord­ne­ten Anhö­rung zu erschei­nen. Das Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rungs- oder Schwei­ge­recht ergibt sich aus dem all­ge­mei­nen recht­staat­li­chen Grund­satz, dass sich ein Beschul­dig­ter nicht selbst belas­ten muss. Die­ser Grund­satz und damit das Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rungs- oder Schwei­ge­recht gilt auch in allen Instan­zen des gericht­li­chen Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens, auch wenn das BDG es dort nicht aus­drück­lich benennt.

3. Anspruch auf recht­li­ches Gehör

Beschul­dig­te Beam­tin­nen und Beam­te haben in jeder Pha­se des Ver­fah­rens Anspruch auf recht­li­ches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 3 BDG, § 28 Verwaltungs­verfahrens­gesetz (VwVfG), § 108 Abs. 2 Verwaltungs­gerichts­ordnung (VwGO)). Auf­grund ihres Anhö­rungs­rechts sind Beam­tin­nen und Beam­te berech­tigt, auf­grund ihres Schwei­ge­rechts aber nicht ver­pflich­tet, an der Sach­auf­klä­rung mit­zu­wir­ken. Sie sind berech­tigt, an der Beweis­auf­nah­me teil­zu­neh­men, sach­dien­li­che Fra­gen oder Beweis­an­trä­ge zu stel­len und Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten ein­zu­se­hen (§ 24 Abs. 3 und 4 BDG). Beschul­dig­te kön­nen von der Teil­nah­me an einer Zeu­gen­ver­neh­mung und an einer Ein­nah­me des Augen­scheins nur aus­ge­schlos­sen wer­den, soweit dies aus wich­ti­gen Grün­den ins­be­son­de­re mit Rück­sicht auf den Zweck der Ermitt­lun­gen oder zum Schut­ze der Rech­te Drit­ter erfor­der­lich ist (§ 24 Abs. 4 S. 2 BDG). Den Beschul­dig­ten steht ein Akten­ein­sichts­recht zu (§§ 3 BDG, 29 VwVfG, § 100 VwGO).

4. Dienst­li­che Wahrheitspflicht

Sagen Beschul­dig­te zur Sache aus, sind sie als Beam­tin­nen oder Beam­te zur wahr­heits­ge­mä­ßen Aus­sa­ge nur inso­weit ver­pflich­tet, als sie sich selbst nicht belas­ten. Wahr­heits­wid­ri­ge Aus­sa­gen zum eige­nen Schutz sind nur soweit zuläs­sig, als Drit­te nicht vor­sätz­lich zu Unrecht belas­tet wer­den. Aus ihrem Ver­hal­ten im Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren dür­fen für die beschul­dig­ten Beam­tin­nen und Beam­ten kei­ne nach­tei­li­gen Schlüs­se gezo­gen werden.

5. Gleich­ran­gig­keit im gericht­li­chen Disziplinarverfahren

Im gericht­li­chen Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren sind die beschul­dig­ten Beam­tin­nen und Beam­te gleich­ran­gi­ge Ver­fah­rens­be­tei­lig­te. Die Beam­tin­nen und Beam­ten und der jewei­li­ge Dienst­herr ste­hen sich als Klä­ge­rin­nen und Klä­ger oder als Beklag­te gegen­über. Es fin­den nach § 3 BDG die Vor­schrif­ten der §§ 61 ff. VwGO Anwen­dung. Die Beam­tin oder der Beam­te sind in ihrer Rol­le als Klä­ge­rin­nen und Klä­ger oder Beklag­te immer auch „Beschul­dig­te“ mit der Fol­ge, dass sie für sich ent­spre­chen­de Schutz­rech­te wie z.B. das Schwei­ge­recht in Anspruch neh­men können.

6. Bevoll­mäch­tig­te, Bei­stand und bestell­te Vertreter

Die oder der Beschul­dig­te kann sich im gan­zen Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren durch einen Bevoll­mäch­ti­gen ver­tre­ten las­sen oder sich eines Bei­stan­des bedie­nen (§§ 3 BDG, 14 Abs. 1 VwVfG). Bei Ein­lei­tung des behörd­li­chen Disziplinar­verfahrens ist die Beam­tin oder der Beam­te dar­über zu beleh­ren (§ 20 Abs. 1 Satz 3 BDG). Bevoll­mäch­tig­ter oder Bei­stand kön­nen z.B. eine Rechts­an­wäl­tin oder ein Rechts­an­walt, eine Gewerk­schafts­ver­tre­te­rin oder ein Gewerkschafts­vertreter oder das Mit­glied eines Per­so­nal­ra­tes sein. Ist die Beam­tin oder der Beam­te in Fol­ge psy­chi­scher oder kör­per­li­cher Ein­schrän­kun­gen nicht hand­lungs­fä­hig, hat auf Antrag des Dienst­vor­gesetzten das zustän­di­ge Betreu­ungs­ge­richt von Amts wegen einen geeig­ne­ten Ver­tre­ter zu bestel­len (§ 3 BDG, § 62 Abs. 4 VwGO, § 57 Zivil­pro­zess­ord­nung (ZPO). Ein ent­ge­gen die­ser Vor­schrift ohne bestell­ten Ver­tre­ter ein­ge­lei­te­tes behörd­li­ches Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ist ein­zu­stel­len (§ 32 Abs. 1 Nr. 4 BDG)

7. Anwalts­zwang

Im gericht­li­chen Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren besteht vor dem Ober­ver­wal­tungs­ge­richt und vor dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Anwalts­zwang (§ 3 BDG, § 67 Abs. 4 VwGO).

8. Betei­li­gung von Per­so­nal­rat und Schwerbehindertenvertretung

Bei Ein­lei­tung des behörd­li­chen Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens und bei Erlass einer Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung ist der Per­so­nal­rat nicht zu betei­li­gen. Bei Erhe­bung der Dis­zi­pli­nar­kla­ge hat der Per­so­nal­rat auf Antrag der Beam­tin oder des Beam­ten nach § 78 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Bun­des­per­so­nal­ver­tre­tungs­ge­setz (BPersVG) mit­zu­wir­ken, wobei er Ein­wen­dun­gen nur auf die Grün­de des § 77 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BPersVG stüt­zen kann. Ist die Beam­tin oder der Beam­te schwer­be­hin­dert, so hat der Dienst­vor­ge­setz­te die Schwerbehinderten­vertretung recht­zei­tig und umfas­send über die Ein­lei­tung des Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens zu unter­rich­ten (§ 95 Abs. 2 S. 1 Neun­tes Buch Sozi­al­ge­setz­buch (SGB IX)). Die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung ist auf Wunsch der Beam­tin oder des Beam­ten vor Erlass einer Dis­zi­pli­nar­ver­fü­gung wie auch vor Erlass einer Dis­zi­pli­nar­kla­ge anzu­hö­ren. Die getrof­fe­ne Ent­schei­dung ist der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung unver­züg­lich mit­zu­tei­len (§ 95 Abs.2 S. 1 SGB IX).

9. Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren gegen ein Mit­glied des Personalrates

Auch gegen Beam­tin­nen und Beam­te, die Mit­glie­der eines Per­so­nal­ra­tes sind, kann — auch im Fal­le der Frei­stel­lung — ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet und durch­ge­führt wer­den. Durch die Mit­glied­schaft in einer Per­so­nal­ver­tre­tung blei­ben der Beam­ten­sta­tus und die damit ver­bun­de­nen Beam­ten­pflich­ten unbe­rührt. Bei einer vor­läu­fi­gen Dienst­ent­he­bung wäh­rend des Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens nach § 38 BDG ruht die Mit­glied­schaft im Per­so­nal­rat (§ 30 BPersVG). Dies gilt auch, wenn bereits vor Ein­lei­tung des Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens der Beam­tin oder dem Beam­ten die Füh­rung der Dienst­ge­schäf­te nach § 66 Bun­des­be­am­ten­ge­setz (BBG) ver­bo­ten wurde.

10. Mög­lich­kei­ten des Rechtschutzes
nach Ein­tritt der Rechts­kraft eines Urteils

Nach Vor­lie­gen einer rechts­kräf­ti­gen Ent­schei­dung im gericht­li­chen Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren kann die Beam­tin oder der Beam­te die Dis­zi­pli­nar­maß­nah­me nur im Wege der Wie­der­auf­nah­me des gericht­li­chen Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens (§§ 71 ff. BDG), durch Ver­fas­sungs­be­schwer­de oder im Gna­den­we­ge (§ 81 BDG) angreifen.

Die Wie­der­auf­nah­me des durch rechts­kräf­ti­ges Urteil abge­schlos­se­nen Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens ist zuläs­sig, wenn einer der in § 71 Abs. 1 BDG auf­ge­führ­ten Wie­der­auf­nah­me­grün­de und nach § 72 Abs. 1 BDG kein Unzu­läs­sig­keits­grund vor­liegt. Die Beam­tin oder der Beam­te (und auch der Dienst­vor­ge­setz­te) kann den Antrag inner­halb einer Frist von drei Mona­ten nach Bekannt­wer­den des Wie­der­auf­nah­me­grunds bei dem Gericht ein­rei­chen, des­sen Ent­schei­dung ange­grif­fen wird. Wird im Wieder­aufnahme­verfahren das ange­grif­fe­ne Urteil zu Guns­ten der Beam­tin oder des Beam­ten auf­ge­ho­ben, erhält die Beam­tin oder der Beam­te die Rechts­stel­lung, die sie oder er erhal­ten hät­te, wenn das auf­ge­ho­be­ne Urteil der Ent­schei­dung ent­spro­chen hät­te, die im Wie­der­auf­nah­me­ver­fah­ren ergan­gen ist ( § 76 Abs. 1 Satz 1 BDG).

Das Begna­di­gungs­recht in Dis­zi­pli­nar­sa­chen steht dem Bun­des­prä­si­den­ten zu (§ 81 BDG). Die im Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren rechts- und bestands­kräf­tig ver­häng­ten Maß­nah­men und Neben-fol­gen kön­nen durch Aus­übung des Gna­den­rechts abge­mil­dert, umge­wan­delt oder erlas­sen werden.