Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber dür­fen schwer­be­hin­der­te und gleich­ge­stell­te Men­schen, die sich um eine aus­ge­schrie­be­ne Stel­le bewer­ben, nicht benach­tei­li­gen. Wer­den sie wegen ihrer Behin­de­rung in unzu­läs­si­ger Wei­se bei der Stel­len­aus­wahl und Stel­len­be­set­zung benach­tei­ligt, kön­nen sie von der Arbeit­ge­be­rin oder dem Arbeit­ge­ber nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) Ent­schä­di­gung verlangen.

1. Benach­tei­li­gungs­ver­bo­te für Schwerbehinderte

Pri­va­te und öffent­li­che Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber haben gegen­über schwer­be­hin­der­ten oder gleich­ge­stell­ten Bewer­be­rin­nen und Bewer­bern beson­de­re För­der­pflich­ten nach dem Neun­ten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB IX) zu beachten:

All­ge­mei­ne Pflichten
  • Pflicht zu prü­fen, ob freie Arbeits­plät­ze mit Schwer­be­hin­der­ten und Gleich­ge­stell­ten, ins­be­son­de­re mit bei der Agen­tur für Arbeit arbeits­los oder arbeits­su­chend gemel­de­ten schwer­be­hin­der­ten oder gleich­ge­stell­ten Men­schen, besetzt wer­den kön­nen (§ 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX),
  • Pflicht zur Betei­li­gung der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung (§ 95 Abs. 2 SGB IX) und zur Anhö­rung des Betriebs- oder Per­so­nal­ra­tes (§ 81 Abs. 1 S. 6 SGB IX) bei der Prü­fung nach § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX,
  • Pflicht, freie Arbeits­plät­ze gegen­über der Agen­tur für Arbeit anzu­zei­gen (§ 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB XI),
  • Pflicht, die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung und den Betriebs- oder Per­so­nal­rat über die Bewer­bun­gen schwer­be­hin­der­ter oder gleich­ge­stell­ter Men­schen und über die Ver­mitt­lungs­vor­schlä­ge der Agen­tur für Arbeit unmit­tel­bar nach Ein­gang zu unter­rich­ten (§ 81 Abs. 1 S. 4 SGB IX).
Son­der­pflich­ten bei Nicht­er­fül­lung der
Beschäf­ti­gungs­quo­te nach § 71 Abs. 1 SGB IX:
  • Pflicht, eine beab­sich­tig­te Ent­schei­dung mit der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung und dem Betriebs- oder Per­so­nal­rat unter Dar­le­gung der Grün­de zu erör­tern, wenn die­se mit der Ent­schei­dung nicht ein­ver­stan­den sind (§ 81 Abs. 1 S. 7 SGB IX),
  • Pflicht, die Bewer­be­rin oder den Bewer­ber im Erör­te­rungs­ver­fah­ren anzu­hö­ren (§ 81 Abs. 1 S. 8 SGB IX),
  • Pflicht, die Bewer­be­rin oder den Bewer­ber, die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung und den Betriebs- oder Per­so­nal­rat über die getrof­fe­ne Ent­schei­dung unter Dar­le­gung der Grün­de zu unter­rich­ten (§ 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX). Nach dem Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) gilt die Pflicht, die Ableh­nung einer Bewer­bung zu begrün­den, nur für Arbeit­ge­be­rin­nen oder Arbeit­ge­ber, die die Beschäf­ti­gungs­quo­te nicht erfül­len (BAG v. 21.2.2013 – 8 AZR 180/20 -, Rn. 43 f., NJW 2013, 2778).
Son­der­pflich­ten des öffent­li­chen Arbeitgebers
  • Pflicht, frei­wer­den­de, neu zu beset­zen­de sowie neue Arbeits­plät­ze den Agen­tu­ren für Arbeit früh­zei­tig zu mel­den (§ 82 Abs. 1 S. 1 SGB IX),
  • Pflicht, die schwer­be­hin­der­ten oder gleich­ge­stell­ten Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­zu­la­den, sofern die fach­li­che Eig­nung nicht offen­sicht­lich fehlt (§ 82 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB IX).

2. Ent­schä­di­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG

Ver­letzt eine Arbeit­ge­be­rin oder ein Arbeit­ge­ber in einem Bewer­ber­aus­wahl­ver­fah­ren eine der genann­ten För­der­pflich­ten, stellt dies nach stän­di­ger Recht­spre­chung des BAG grund­sätz­lich eine Indiz für eine Benach­tei­li­gung wegen Schwer­be­hin­de­rung nach dem AGG dar (BAG v. 21.2.2013 — 8 AZR 180/12 -, Rn. 37, NJW 2013, 2778). Eine Benach­tei­li­gung nach § 3 Abs. 1 S. 1 AGG liegt vor, wenn eine Per­son wegen eines in § 1 AGG genann­ten Grun­des (hier Behin­de­rung) eine weni­ger güns­ti­ge­re Behand­lung erfährt, als eine ande­re Per­son in einer ver­gleich­ba­ren Per­son erfährt, erfah­ren hat oder erfah­ren wür­de. Weist die schwer­behinderte Bewer­be­rin oder der schwer­be­hin­der­te Bewer­ber den Pflich­ten­ver­stoß nach, muss die Arbeit­ge­be­rin oder der Arbeit­ge­ber die­sen wider­le­gen (§ 22 AGG). Gelingt das nicht, ent­steht ein Entschädigungs­anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG. Der Ent­schä­di­gungs­an­spruch setzt kein Ver­schul­den und kei­ne Benach­tei­li­gungs­ab­sicht voraus.

3. Indi­zi­en für eine Benach­tei­li­gung wegen Behinderung

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat sich seit Inkraft­tre­ten des AGG am 18.8.2006 vor allem mit Benach­tei­li­gungs­fäl­len befasst, in denen schwer­be­hin­der­te Bewer­be­rin­nen oder Bewer­ber nicht zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­ge­la­den wur­den. Die Fra­ge, unter wel­chen Umstän­den die Nicht­ein­la­dung zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch eine Benach­tei­li­gung nach dem AGG indi­ziert, hat für das täg­li­che Per­so­nal­ge­schäft im öffent­li­chen Dienst daher beson­de­re Bedeutung.

a) Nicht­ein­la­dung zum Vorstellungsgespräch

Nach § 82 S. 2 und 3 SGB IX hat der öffent­li­che Arbeit­ge­ber schwer­behinderte Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber zu einem Vorstellungs­gespräch ein­zu­la­den, es sei denn sie sind offen­sicht­lich fach­lich ungeeignet.

Schwer­be­hin­der­te Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber müs­sen die Chan­ce eines Vor­stel­lungs­ge­sprächs erhal­ten, auch wenn ihre Eig­nung zwei­fel­haft, aber nicht offen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen ist (BAG v. 21.7.2009 — 9 AZR 431/08 -, Rn. 36, open­Jur 2011, 97790; BAGE 131, 232; BAG v. 16.2.2012 — 8 AZR 697/10 -, Rn. 48, NZA 2012, 667). Selbst wenn sich der öffent­li­che Arbeit­ge­ber auf­grund der Bewer­bungs­un­ter­la­gen schon die Mei­nung gebil­det hat, ein oder meh­re­re ande­re Bewer­be­rin­nen oder Bewer­ber sei­en so gut geeig­net, dass die schwer­be­hin­der­ten Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber nicht mehr in die nähe­re Aus­wahl kom­men, muss er schwer­be­hin­der­te Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­la­den. Geset­zes­ziel ist es, dass schwer­be­hin­der­te Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber die Chan­ce erhal­ten, den öffent­li­chen Arbeit­ge­ber im Vor­stel­lungs­ge­spräch von ihrer Eig­nung zu über­zeu­gen. Durch den per­sön­li­chen Kon­takt im Vor­stel­lungs­ge­spräch sol­len evtl. Vor­be­hal­te oder Vor­ur­tei­le aus­ge­räumt und so die Ein­stel­lungs­chan­cen schwer­be­hin­der­ter Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber ver­bes­sert wer­den (BAG v. 22.8.2013 — 8 AZR 563/12 -, Rn. 59, NJW 2014, 174). Ein Ver­stoß gegen die Ein­la­dungs­pflicht des § 82 S. 2 SGB IX kann durch eine nach­träg­li­che Ein­la­dung nicht geheilt wer­den (BAG v. 22.8.2013 — 8 AZR 563/12 -, Rn. 53 ff., NJW 2014, 174). Das gilt selbst bei einer spä­te­ren Einstellung.

Die Ver­wal­tung kann auch nicht, um die Zahl der Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer an den Vor­stel­lungs­ge­sprä­chen zu begren­zen, im Ein­ver­neh­men mit der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung für die Fra­ge, wer zu den Vor­stel­lungs­ge­sprä­chen ein­zu­la­den ist, eine Vor­auswahl unter den grund­sätz­lich geeig­ne­ten Bewer­be­rin­nen und Bewer­bern tref­fen. Wer­den schwer­be­hin­der­te oder gleich­ge­stell­te Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber, denen nach § 82 S. 3 SGB IX die fach­li­che Eig­nung offen­sicht­lich nicht fehlt, durch eine Vor­auswahl von den Vor­stel­lungs­ge­sprä­chen aus­ge­schlos­sen, liegt dar­in ein Indiz für eine Benach­tei­li­gung wegen Behin­de­rung nach dem AGG (BAG v. 16.2.2012 — 8 AZR 697/10 -, Rn. 52 ff., NZA 2012, 667).

Ob die Eig­nung nach § 82 S. 3 SGB IX offen­sicht­lich fehlt, ist an dem vom Arbeit­ge­ber mit der Stel­len­aus­schrei­bung bekannt gemach­ten Anfor­de­rungs­pro­fil zu mes­sen, das sich im öffent­li­chen Dienst an den Kri­te­ri­en „Eig­nung, Befä­hi­gung und fach­li­che Leis­tung“ des Art. 33 Abs. 2 Grund­ge­setz zu ori­en­tie­ren hat. Ver­langt der öffent­li­che Arbeit­ge­ber in der Stel­len­aus­schrei­bung für eine Berufs­aus­bil­dung bestimm­te Abschluss­no­ten und hat die schwer­be­hin­der­te Bewer­be­rin oder der schwer­be­hin­der­te Bewer­ber die­se nicht erzielt, so besteht kei­ne Ver­pflich­tung zur Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­ge­spräch (BAG v. 7.4.2011 — 8 AZR 679/09 -, Rn. 47 ff., NZA 2011, 1184).

Vor­aus­set­zung dafür, dass die Nicht­ein­la­dung zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch eine Indi­z­wir­kung für eine Benach­tei­li­gung nach dem AGG hat, ist, dass dem öffent­li­chen Arbeit­ge­ber die Schwer­behinder­ten­eigenschaft oder die Gleich­stel­lung der Bewer­be­rin oder des Bewer­bers bekannt gewe­sen ist oder er sich auf­grund der Bewer­bungs­un­ter­la­gen die­se Kennt­nis hät­te ver­schaf­fen kön­nen. Andern­falls kann der Pflich­ten­ver­stoß dem öffent­li­chen Arbeit­ge­ber nicht zuge­rech­net wer­den (BAG v. 13.10.2011 — 8 AZR 608/10 -, Rn. 37, ArbR 2011, 561). Erfor­der­lich ist, dass im Bewer­bungs­an­schrei­ben oder unter deut­li­cher Her­vor­he­bung im Lebens­lauf auf die Schwer­be­hin­de­rung hin­ge­wie­sen wird. Unauf­fäl­li­ge Infor­ma­tio­nen oder eine in den wei­te­ren Bewer­bungs­un­ter­la­gen befind­li­che Kopie des Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses sind kei­ne aus­rei­chen­de Infor­ma­ti­on des ange­streb­ten Arbeit­ge­bers (BAG v. 18.9.2014 — 8 AZR 759/13 -, Rn. 34 ff., DB 2015, 384). Auch besteht kei­ne Pflicht des öffent­li­chen Arbeit­ge­bers, sich nach einer Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft zu erkun­di­gen. Viel­mehr könn­te eine sol­che Nach­fra­ge bei Ableh­nung der schwer­be­hin­der­ten Bewer­be­rin oder des schwer­be­hin­der­ten Bewer­bers als Indiz für eine Benach­tei­li­gung im Sin­ne des AGG wirken.

b) Nicht­be­ach­tung der Prüf- und Anzeigepflicht

Nach § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB XI sind Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber ver­pflich­tet, zu prü­fen, ob freie Arbeits­plät­ze mit Schwer­be­hin­der­ten und Gleich­ge­stell­ten, ins­be­son­de­re mit bei der Agen­tur für Arbeit arbeits­los oder arbeits­su­chend gemel­de­ten schwer­be­hin­der­ten oder gleich­ge­stell­ten Men­schen, besetzt wer­den können.

Die­se Prüf­pflicht zur Berück­sich­ti­gung schwer­be­hin­der­ter Men­schen bei der Beset­zung frei­er Stel­len besteht immer und für alle Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber unab­hän­gig davon, ob sich ein schwer­be­hin­der­ter Mensch bewor­ben hat oder ob er bei sei­ner Bewer­bung sei­ne Schwer­be­hin­de­rung offen­bart hat. Ver­letz­ten Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber die­se Prüf­pflicht, so stellt dies ein Indiz dafür dar, dass sie einen abge­lehn­ten schwer­behin­derten Men­schen wegen der Behin­de­rung benach­tei­ligt haben, weil sie ihre För­der­pflich­ten unbe­ach­tet gelas­sen haben (BAG v. 13.10.2011 — 8 AZR 608/10 -, Rn. 46 ff., ArbR 2011, 561). In dem vom BAG ent­schie­de­nen Fall war dem öffent­li­chen Arbeit­ge­ber die Schwer­behinderten­eigenschaft des Bewer­bers nicht bekannt. Den­noch nahm das BAG ein Indiz für eine Benach­tei­li­gung an. Denn dafür war allein maß­geb­lich, dass der öffent­li­che Arbeit­ge­ber die Stel­le ander­wei­tig besetz­te, ohne zuvor zu prü­fen, ob der freie Arbeits­platz mit schwer­be­hin­der­ten Men­schen besetzt wer­den konn­te, und ohne dies­be­züg­lich Kon­takt zur Agen­tur für Arbeit auf­ge­nom­men zu haben. Nach einer neue­ren Ent­schei­dung des BAG besteht bei einer Ver­let­zung der Ver­fah­rens- und För­der­pflich­ten des SGB IX aber kein “Auto­ma­tis­mus” für den Ein­tritt einer Indi­z­wir­kung im Sin­ne der Ver­mu­tung einer Benach­tei­li­gung wegen der Behin­de­rung (BAG v. 26.6.2014 — 8 AZR 547/13 -, Rn. 44 ff., DB 2014, 2660) Viel­mehr kann sich “aus der Gesamt­be­trach­tung der Umstän­de” erge­ben, dass kei­ne Indi­z­wir­kung entsteht.

c) Unter­las­se­ne Betei­li­gung der Schwerbehindertenvertretung

Nach § 81 Abs. 1 S. 4 SGB IX sind Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber ver­pflich­tet, die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung und den Betriebs- oder Per­so­nal­rat über die Bewer­bun­gen schwer­be­hin­der­ter oder gleich­ge­stell­ter Men­schen und über die Ver­mitt­lungs­vor­schlä­ge der Agen­tur für Arbeit unmit­tel­bar nach Ein­gang zu unter­rich­ten (§ 81 Abs. 1 S. 4 SGB IX).

Unter­las­sen es Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber, die Schwer­behinderten­vertretung über die Bewer­bung einer schwer­be­hin­der­ten Bewer­be­rin oder eines schwer­be­hin­der­ten Bewer­bers unmit­tel­bar nach Ein­gang zu unter­rich­ten, so liegt dar­in ein Indiz für eine Benach­tei­li­gung im Sin­ne des AGG (VGH Baden-Würt­tem­berg v. 10.9. 2013 — 4 S 547/12 -, Rn. 24 ff., DÖV 2014, 43). Obschon in dem vom VGH Baden-Würt­tem­berg ent­schie­de­nen Fall die beam­te­te Bewer­be­rin um eine Schul­lei­ter­stel­le in ihrer Bewer­bung auf ihre Schwer­be­hin­de­rung hin­wies, wur­de die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung über den Ein­gang der Bewer­bung nicht unter­rich­tet, so dass die­se beim Bewer­ber­ge­spräch, der Unter­richts­mit­schau und der Prä­sen­ta­ti­on nicht anwe­send war. Von einer Indi­z­wir­kung ist aller­dings nur dann aus­zu­ge­hen, wenn der Arbeit­ge­be­rin oder dem Arbeit­ge­ber die Schwer­behinderten­eigenschaft der Bewer­be­rin oder des Bewer­bers bekannt gewe­sen ist oder es ihr oder ihm mög­lich gewe­sen wäre, sich auf­grund der Bewer­bungs­un­ter­la­gen die­se Kennt­nis zu verschaffen.

Nach der Ent­schei­dung des Gerichts wur­de der Bewer­be­rin der ihr nach dem Gesetz ein­ge­räum­te Vor­teil einer mög­li­chen Ver­fah­rens­ab­si­che­rung oder Ver­fah­rens­be­glei­tung des Aus­wahl­ver­fah­rens durch die Schwerbehinderten­vertretung, wie es § 95 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 SGB IX und § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX vor­se­hen, vor­ent­hal­ten. Dazu gehört vor allem das Recht der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung, in die Bewer­bungs­un­ter­la­gen auch der nicht­be­hin­der­ten Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber Ein­blick zu neh­men und an den Vor­stel­lungs­ge­sprä­chen aller Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber teil­zu­neh­men. Die Fra­ge, ob Ver­fah­rens­feh­ler durch eine nach­träg­li­che Betei­li­gung der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung nach § 95 Abs. 2 S. 2 SGB IX geheilt wer­den kön­nen, hat für die Recht­mä­ßig­keit der Auswahl­entscheidung, nicht aber für den Ent­schä­di­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG Bedeu­tung. Eine Nach­ho­lung der unter­blie­be­nen Betei­li­gung lässt die Benach­tei­li­gung der schwer­be­hin­der­ten Bewer­be­rin nicht entfallen.

d) Fra­ge nach der Schwerbehinderung

Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber sind nicht berech­tigt, sich bei Bewer­be­rin­nen und Bewer­bern tätig­keits­neu­tral nach dem Bestehen einer Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft zu erkun­di­gen, wenn sie damit kei­ne posi­ti­ve För­der­maß­nah­me ver­bin­den wol­len (BAG v. 13.11.2011 — 8 AZR 608/10 -, Rn. 43, NZA 2011, 1184). Durch eine sol­che Nach­fra­ge schaf­fen Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber, für den Fall, dass sie sich gegen die schwer­be­hin­der­te Bewer­be­rin oder den schwer­be­hin­der­ten Bewer­ber ent­schei­den, ein Indiz für eine unzu­läs­si­ge unmit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Benach­tei­li­gung im Sin­ne des AGG. Schwer­be­hin­der­te Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber sind im Regel­fall nicht ver­pflich­tet, ihre Schwer­behinderung zu offen­ba­ren. Etwas ande­res gilt nur, wenn für die Aus­übung des aus­ge­schrie­be­nen Arbeits­plat­zes beson­de­re kör­per­li­che Fähig­kei­ten erfor­der­lich sind.

Kein Indiz für eine Benach­tei­li­gung liegt vor, wenn im Vor­stel­lungs­ge­spräch schwer­be­hin­der­te Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber, die ihre Schwer­behinderung in ihrer Bewer­bung ange­ge­ben haben, danach gefragt wer­den, ob sie für ihre Tätig­keit spe­zi­el­le Hilfs­mit­tel benö­ti­gen und ob sie in der Lage sind, Über­stun­den zu leis­ten (BAG v. 21.2.2013 — 8 AZR 180/20 -, Rn. 49 ff., NJW 2013, 2778). Die­se Fra­ge hat­te in dem vom BAG ent­schie­de­nen Fall im Vor­stel­lungs­ge­spräch die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung gestellt. Das BAG wies dar­auf hin, dass die Bewer­be­rin nicht unmit­tel­bar nach der Schwer­be­hin­de­rung gefragt wor­den sei. Viel­mehr habe die Fra­ge dar­auf abge­zielt, sich ein Bild über die Ein­satz­fä­hig­keit in Bezug auf die geplan­te Stel­len­be­set­zung machen zu können.

Für den Fall dass sich Schwer­be­hin­der­te in einem Arbeits­ver­hält­nis befin­den, das län­ger als sechs Mona­te besteht und damit dem Sonder­kündigungs­schutz der §§ 55 ff. SGB IX unter­liegt, hält das BAG es für zuläs­sig, dass Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber nach der Schwer­be­hin­de­rung fra­gen (BAG v. 16.2.2012 — 2 AZR 553/10 -, Rn. 13 ff., NJW 2012, 2058). In dem vom BAG ent­schie­de­nen Fal­le hat­te der Beschäf­tig­te sei­ne Schwer­be­hin­de­rung nicht offen­bart. Im Insol­venz­er­öff­nungs­ver­fah­ren ver­nein­te er wahr­heits­wid­rig die Fra­ge nach der Schwer­be­hin­de­rung. Im Insol­venz­ver­fah­ren wur­de der schwer­be­hin­der­te Beschäf­tig­te betriebs­be­dingt ohne Zustim­mung des Inte­gra­ti­ons­am­tes gekün­digt. Nach der Ent­schei­dung des BAG soll­te die Fra­ge nach der Schwer­be­hin­de­rung dazu die­nen, den Sonder­kündigungs­schutz für Schwer­be­hin­der­te zu beach­ten. Die Fra­ge habe daher der Wah­rung der Rech­te und Inter­es­sen des schwer­be­hin­der­ten Beschäf­tig­ten gedient und kei­ne Zurück­set­zung gegen­über Nicht­be­hin­der­ten bedeutet.

4. Wider­le­gung der Benachteiligungsvermutung

Wenn die von Bewer­be­rin­nen und Bewer­bern nach­ge­wie­se­nen Tat­sa­chen eine Benach­tei­li­gung im Aus­wahl­ver­fah­ren wegen der Behin­de­rung ver­mu­ten las­sen, tra­gen die Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber die Beweis­last dafür, dass eine sol­che Benach­tei­li­gung nicht vor­lag (§ 22 AGG). Sie müs­sen nach­wei­sen, dass es aus­schließ­lich ande­re Grün­de als die Schwer­be­hin­de­rung oder Gleich­stel­lung waren, die zu einer weni­ger güns­ti­gen Behand­lung, wie z.B. der Nicht­ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­ge­spräch, geführt haben.

Zur Wider­le­gung der Benach­tei­li­gungs­ver­mu­tung kön­nen sich Arbeit­ge­be­rin­nen oder Arbeit­ge­ber nicht dar­auf beru­fen, dass, die ein­ge­stell­te Bewer­be­rin oder der ein­ge­stell­te Bewer­ber bes­ser geeig­net gewe­sen sei. Eine bes­se­re Eig­nung schließt die Benach­tei­li­gung nicht aus (BAG v. 16.2.2012 — 8 AZR 697/10 -, Rn. 61, NZA 2012, 667). Denn eine Ent­schä­di­gung nach § 15 Abs. 2 AGG ist selbst dann zu leis­ten, wenn die schwer­be­hin­der­te Bewer­be­rin oder der schwer­be­hin­der­te Bewer­ber auch bei benach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre.
Die Benach­tei­li­gungs­ver­mu­tung kann auch nicht mit der Begrün­dung wider­legt wer­den, nach § 7 Bun­des­gleich­stel­lungs­ge­setz sei­en bevor­zugt Frau­en und nach dem gel­ten­den Haus­halts­ge­setz vor­ran­gig Ver­set­zungs­be­wer­ber zu berück­sich­ti­gen gewe­sen (BAG v. 16.2.2012 — 8 AZR 697/10 -, Rn. 62, NZA 2012, 667). Nach der Kon­kur­renz­re­ge­lung des § 122 SGB IX kön­nen sich Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber nicht von ihren Ver­pflich­tun­gen gegen­über schwer­be­hin­der­ten Men­schen ent­las­ten, indem sie auf gesetz­li­che Ver­pflich­tun­gen gegen­über ande­ren schutz­be­dürf­ti­gen Per­so­nen verweisen.

5. Aus­schluss des Anspruchs wegen Rechtsmissbrauchs

Der Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG kann wegen Rechts­miss­brauchs aus­ge­schlos­sen sein. Dies wäre dann der Fall, wenn die Bewer­bung allein des­halb erfolg­te, um Ent­schä­di­gungs­an­sprü­che zu erlan­gen (BAG v. 13.10.2011 — 8 AZR 608/10 -, Rn. 54 ff., ArbR 2011, 561; BVerwG v. 3.3.2011 — 5 C 16/10 -, Rn. 33, BVerw­GE 139, 135). Inso­weit sind die Arbeit­ge­be­rin­nen und Arbeit­ge­ber dar­le­gungs- und beweis­pflich­tig. Der Umstand, dass eine schwer­be­hin­der­te Bewer­be­rin oder ein schwer­be­hin­der­ter Bewer­ber eine Viel­zahl von Ent­schä­di­gungs­kla­gen in Fol­ge der Viel­zahl von Bewer­bun­gen ange­strengt hat, ist allein nicht aus­rei­chend, um die Bewer­bung als sub­jek­tiv nicht ernst­haft erschei­nen zu las­sen (BAG v. 21.7.2009 — 9 AZR 431/08 -, Rn. 63 ff., open­Jur 2011, 97790; BAGE 131, 232).

6. Gel­tend­ma­chung des Entschädigungsanspruchs

Ein Anspruch nach § 15 AGG muss inner­halb einer Frist von zwei Mona­ten nach Zugang der Ableh­nung der Bewer­bung schrift­lich gel­tend gemacht wer­den (§ 15 Abs. 4 AGG). Eine Kla­ge ist inner­halb von drei Mona­ten, nach­dem der Anspruch schrift­lich gel­tend gemacht wor­den ist, zu erhe­ben (§ 61b Arbeitsgerichtsgesetz).

7. Höhe des Entschädigungsanspruchs

Die Ent­schä­di­gung in Geld nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG muss ange­mes­sen sein. Damit wird dem Gericht ein Beur­tei­lungs­spiel­raum hin­sicht­lich der Höhe der Ent­schä­di­gung ein­ge­räumt. Für die Höhe der fest­zu­set­zen­den Ent­schä­di­gung sind Art und Schwe­re der Ver­stö­ße sowie die Fol­gen für die schwer­be­hin­der­te Klä­ge­rin oder für den schwer­be­hin­der­ten Klä­ger von Bedeu­tung (BAG v. 13.10.2011 — 8 AZR 608/10 -, Rn. 59, ArbR 2011, 561). Die Ent­schä­di­gung darf drei Monats­ge­häl­ter nicht über­stei­gen, wenn die oder der Beschäf­tig­te auch bei benach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre (§ 15 Abs. 2 S. 2 AGG). Je häu­fi­ger und gewich­ti­ger der Arbeit­ge­ber gegen För­de­rungs­pflich­ten ver­sto­ßen hat, des­to eher ist es gerecht­fer­tigt, den Höch­st­rah­men von drei Monats­ver­gü­tun­gen aus­zu­schöp­fen (BAG v. 21.7.2009 — 9 AZR 431/08 -, Rn. 70, open­Jur 2011, 97790; BAGE 131, 232).